Rezension T. C. Boyle – Sprich mit mir

Rezension T. C. Boyle – Sprich mit mir

Autor: T. C. Boyle
Titel: Sprich mit mir
Herausgeber: Hanser Literaturverlage
Datum der Erstveröffentlichung: 25. Januar 2021
Buchlänge: 352 Seiten
Titel der Originalausgabe: Talk to me
ISBN: 978-3-446-26915-6
Preis: HC 25,00€ / eBook 18,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Sam, der Schimpanse, den Professor Schemerhorn in eine TV-Show bringt, kann in der Gebärdensprache nicht nur einen Cheeseburger bestellen, sondern auch seinen Namen sagen. Wie ein Kind wächst er umsorgt von Wissenschaftlern auf. Als die schüchterne Aimee dazu stößt, entspinnt sich eine einzigartige Beziehung: Sam erwidert ihre Gefühle und entwickelt sich regelrecht zu einem Individuum. Als jedoch die Vision Schemerhorns, der an das Menschliche im Tier glaubt, keine Schule macht, wird er für Tierexperimente von einer anderen Universität beschlagnahmt. Aimee ist am Boden zerstört und fasst einen verrückten Plan. T.C. Boyle geht ebenso komisch wie mitfühlend der Frage nach, ob uns Tiere ähnlicher sind, als wir vermuten.

Quelle: Hanser Literaturverlage

 

 

 

Seid ihr Zoogänger? Ich schon seit Jahren nicht mehr, weil ich es einfach nicht ertragen kann eine solche Masse an Tieren eingesperrt über Mauern, Zäune oder Gitter zu beobachten.
Dabei möchte ich Zoos ihren Nutzen in gewisser Weise gar nicht absprechen, stellt doch der Artenschutz einen klaren Vorteil dar. Nur kann das in meinen Augen die freie Wildbahn nicht ersetzen und wenn ich früher als Kind apathische Eisbären in ihrem Gehege beobachtet habe, bedeutet eingesperrt eben trotzdem eingesperrt und das ertrage ich nicht.
Doch was halte ich davon, wenn Schimpansen, wie im speziellen Fall von Sprich mit mir von T. C. Boyle, zu wissenschaftlichen Zwecken untersucht werden? Um von ihnen zu lernen und ihnen gegebenenfalls sogar etwas beizubringen? Bin ich dann dafür oder dagegen?
Ich sag es mal so: Es kommt auf die Umstände an und nach dem Lesen des eben genannten Buches auf noch so viel mehr.

 

Wir befinden uns in den 70er- oder 80er Jahren, also in jener Zeit, in der Experimente mit Tieren richtig populär waren.
In einer Art Wissenschafts- oder Forscher-WG zieht der Psychologie-Dozent Guy Schermerhorn den jungen Schimpansen Sam wie einen Menschen auf und bringt ihm sogar die Kommunikation über Gebärdensprache bei. Er kann sich also Cheeseburger bestellen und sogar lügen, doch als Guys Frau und damit leider auch Sams engste Bezugsperson die WG verlässt, gerät alles außer Kontrolle und Guy merkt: Er benötigt Hilfe.
Nachdem die Studentin Aimee einen Fernsehauftritt von Guy und Sam gesehen hat, bewirbt sie sich kurzerhand für die ausgeschriebene Assistenzstelle dieses Forschungsprojekts und wird damit auch schnell Sams Babysitter. Sie schläft mit ihm in einem Bett, liest ihm vor und belohnt ihn zwischendurch mit seiner Lieblingspizza – zwischen ihr und dem Primaten funkt es offensichtlich sofort und auch bei Guy und Aimee stimmt die Chemie. Bis Moncrief, Guys Chef, den pubertierenden Affen für zu unberechenbar hält und ihn für Tierexperimente an eine andere Universität verlegen lässt. Aimee will das auf keinen Fall akzeptieren und fasst einen verrückten Plan, um ihren Freund zu retten.

 

Das Genom, also das Erbgut eines Lebewesens, von Mensch und Schimpanse stimmt zu 98% überein. Eine faszinierende Vorstellung, oder?
Und genau diese Faszination spiegelt auch die Geschichte von Sprich mit mir und besonders die Erzählform des Romans wider.
Denn auch wenn wir die Story fast ausschließlich nur durch die Augen der zwei menschlichen Protagonisten erleben, gibt es immer wieder einzelne Kapitel, in denen sich der Erzähler auch in die Innensicht des Affen versetzt. Hier werden die Worte durch Großbuchstaben hervorgehoben, dessen Gebärden Sam auch beherrscht und dadurch entsteht eine viel tiefere Bindung zu ihm, als ich es mir überhaupt vorstellen konnte.

 

(…) er kannte ZEIT FÜR FRÜHSTÜCK, ZEIT FÜR GIN TONIC, ZEIT FÜR GESCHICHTE, ZEIT FÜR BETT – doch hier drinnen gab es keine Zeit. Hier drinnen war Zeit eine Leere, die plötzlich von Schreien und Gewalt zerrissen wurde, von dem GROSSEN MANN und seinem Stachel.
(Seite 206)

 

Es sind sehr ergreifende Momente und trotzdem bleibt Boyle, bei aller Liebe für Sam, realistisch, ganz ohne zu verkitschen. Er erforscht die Unterschiede zwischen Mensch und Tier und je länger man liest, desto mehr begreift man, wie primatenhaft wir eigentlich sind.
Auf den letzten Seiten wären beinahe sogar ein paar Tränen geflossen, hätte mein Kater mir in diesem Moment nicht seine Tatzen in den Fuß geschlagen. Seien Gebärde nach Essen habe ich jedenfalls sofort verstanden.

Und dann kommt der Mensch, zerstört ihr natürliches Lebensumfeld und versucht auch noch – egozentrisch, wie er nun einmal ist –, diesen Tieren seine eigene, menschliche Sprache aufzudrängen, statt vielleicht zu versuchen, sich ihre Sprache anzueignen.

Diesen Satz habe ich seit kurzem in meinem Notizbuch stehen. Ein Satz, den Boyle irgendwann mal in einem Interview von sich gegeben hat. Und dieser Satz reicht fast schon aus, das ganze Buch in Worte zu fassen.
Es stimmt einen wütend, traurig, betroffen und nachdenklich.
Wie viel Mensch steckt in einem hoch entwickelten Tier? Diese Frage beschäftigte mich über die gesamten Seiten und eine klare Antwort habe ich bis heute nicht.

 

 

 

Sprich mit mir von T. C. Boyle ist spannend, unterhaltsam und erzählerisch wirklich genial.
Mitfühlend und komisch zeigt uns der Autor, dass Tiere uns wahrscheinlich sehr viel näher stehen, als wir wahrhaben wollen – und vielleicht ist das in gewisser Weise auch gut so.

Von mir gibt’s eine klare Leseempfehlung – eine wirklich außergewöhnliche Lektüre!

 

 

♥ Vielen Dank an den Hanser Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

 

Über den Autor
T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, ist der Autor von zahlreichen Romanen und Erzählungen, die in vielen Sprachen übersetzt wurden. Bis 2012 lehrte er Creative Writing an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt  Das wilde Kind (Erzählung, 2010), Wenn das Schlachten vorbei ist (Roman, 2012), San Miguel (Roman, 2013), die Neuübersetzung von Wassermusik (Roman, 2014), Hart auf hart (Roman, 2015), die Neuübersetzung von Grün ist die Hoffnung (Roman, 2016), Die Terranauten (Roman, 2017),  Good Home (Stories, 2018), Das Licht (Roman, 2019) sowie Sind wir nicht Menschen (Stories, 2020).

Quelle: Hanser Literaturverlage

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