Rezension Elena Ferrante – Frau im Dunkeln

Rezension Elena Ferrante – Frau im Dunkeln

Autor: Elena Ferrante
Titel: Frau im Dunkeln
Herausgeber: Suhrkamp Verlag 
Datum der Erstveröffentlichung: 12. Oktober 2020
Buchlänge: 188 Seiten
Titel der Originalausgabe: La figlia oscura
ISBN: 978-3-518-47095-4
Preis: TB 11,00€ / eBook 10,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Ein heißer Sommer an der süditalienischen Küste, Leda – knapp fünfzig, allein lebend, Mutter zweier erwachsener Töchter – verbringt unbeschwerte Tage am Strand. Sie vertreibt sich die Zeit damit, eine junge Mutter und deren kleines Mädchen zu beobachten, die innig vor sich hin spielen. Doch plötzlich verdüstert sich das Idyll und die sonst so beherrschte Leda lässt sich zu einer unbegreiflichen Tat hinreißen…

Quelle: Suhrkamp Verlag

 

 

 

Bis vor kurzem ist das Ferrante-Fieber ja gänzlich an mir vorbei gegangen. Zum einen, weil ich nicht wirklich etwas mit den diversen Klappentexten ihrer Bücher anfangen konnte, die ich hin und wieder schon einmal überflogen hatte und zum anderen, weil, naja, wie drücke ich das diplomatisch aus, Italien als Schauplatz für Geschichten nicht gerade hoch in meinem Kurs stehen.
Doch dann kam Das lügenhafte Leben der Erwachsenen bei mir an und nach kurzen Startschwierigkeiten war ich drin – angesteckt mit dem Fieber, dass ich gar nicht wieder senken möchte und was soll ich sagen? Ich wollte mehr.
Daraufhin hat mir die liebe Tabitha aus dem Verlag schließlich Frau im Dunkeln ans Herz gelegt und binnen eines Tages war ich durch mit dieser fantastischen Geschichte. Aber lasst mich kurz erklären, worum es in diesem Buch überhaupt geht:

 

Leda, Wissenschaftlerin an einer Florentiner Universität, macht Ferien in Kalabrien, an einer Küste im Süden Italiens. Sie ist geschieden, ihr Ex-Mann und die beiden gemeinsamen Töchter leben in Kanada. Am Strand umsorgt sie ein attraktiver, junger Strandwächter, was ihrem Ego sichtlich guttut und dabei bereitet sie sich auf das nächste Semester vor. Aber durch eine laute und unverschämt wirkende Großfamilie wird sie immer wieder gestört. Und dann fällt ihr die junge Mutter Nina, und deren kleine Tochter auf. Sie ist fasziniert davon, wie das Kind ihre Puppe behandelt: liebevoll, umsorgend, genauso wie die Mutter sie behandelt. Leda sucht Kontakt zu den beiden, warum, ist ihr erst nicht so recht klar. Aber ihr früheres Leben sowie ihr Verhalten drängen sich in ihr Bewusstsein: Sie hatte ihre Familie plötzlich verlassen, die Kinder waren noch klein. Leda war den oft abwesenden Mann, der sie auch betrog, und die anstrengenden Kinder leid. Und so arbeitete sie einige Jahre an ihrer Karriere, kehrte dann wieder zu Mann und Kindern zurück, doch später kam es zum endgültigen Bruch. Nun ist Leda allein und arrangiert sich vermeintlich gut mit der Situation – aber das Familienleben am Strand führt ihr überdeutlich vor Augen, dass doch nicht alles so gut ist, wie sie es sich gern einredet. 

 

„Die Dinge, die wir selbst nicht verstehen, sind am schwierigsten zu erzählen“, sagt Leda, die 48-jährige Ich-Erzählerin des Romans und erzählt uns dann von ihrem Strandurlaub, der sie zurück in ihre Vergangenheit versetzt.
Das kling jetzt für viele nicht weiter aufregend, doch Elena Ferrante hat eine einzigartige Begabung, von den dunklen, schambehafteten Seiten der Menschen zu schreiben.
Insbesondere die Auseinandersetzung mit den Themen Partnerschaft und Muttersein ist stets schmerzhaft. Es geht um quälende Schuldgefühle, um Neid und um Minderwertigkeitskomplexe, aber auch um Konkurrenz und den Zwang, sich selbst oder die eigenen Kinder mit anderen zu vergleichen.
Und hier ist es nicht nur der Vergleich ihres jüngeren Ichs mit der jungen Mutter Nina, die zunächst ausgesprochen entspannt wirkt, sondern auch der Vergleich ihren längst erwachsenen Töchtern mit deren Freundinnen:

 

Seit ihrer frühesten Jugend hatte ich die Manie, meine Töchter mit ihren Altersgenossinnen zu vergleichen, mit jenen ihrer besten Freundinnen und Schulkameradinnen, die als schön galten und Erfolg hatten. Ich empfand sie auf eine undeutliche Weise als ihre Rivalinnen, als würde durch die Unbefangenheit, Anziehungskraft, Anmut, Intelligenz der anderen meinen Töchtern etwas entzogen, und auf irgendeine obskure Weise auch mir.
(Buch Seite 72)

 

Leda fühlt sich noch unsicher in ihrer Position und Rolle und versucht dem Gefühl der Bedrohung aggressiv zu begegnen, nur um wenig später eine Freundin, die ihrer Tochter gefährlich wird, zu beschimpfen und zu demütigen.
Gerade diese menschlichen Schwächen machen Ferrantes Protagonistinnen so authentisch.
Menschliche Krisen und der Umgang mit ihnen sind ein großes Thema und dabei rutscht sie nie in den Kitsch oder die Rührseligkeit ab, sondern bewahrt eine gewisse Kühle und Distanz.
Als Leser schwankt man zwischen Verständnis und Ablehnung. Manchmal fühlt man sich unangenehm ertappt, weil man vielleicht selbst schon einmal die gleichen Gedanken und Gefühle hatte, über die man aber nie sprechen würde.
Und so ist Frau im Dunkeln ein Buch geworden, dass mich immer wieder gefordert und zum Nachdenken gebracht hat. Es hat mich mehr als begeistert und mein Ferrante-Fieber sogar noch angeheizt und deshalb stellt sich erneut die Frage: Welches lese ich als nächstes von ihr?

 

 

In Frau im Dunkeln gewährt uns Elena Ferrante einen authentischen Blick in das Seelenleben einer Frau, die mit ihrer Vergangenheit noch keinen Frieden schließen konnte.

Ein bemerkenswertes Buch und sprachlich meisterhaft erzählt!
Klar Leseempfehlung!

 

 

♥ Vielen Dank an den Suhrkamp Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über die Autorin
Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga – bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes – ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln, sowie der Band Frantumaglia, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.

Quelle: Suhrkamp Verlag

 

 

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