Rezension Christian Guay-Poliquin – Das Gewicht von Schnee

Rezension Christian Guay-Poliquin – Das Gewicht von Schnee

Autor: Christian Guay-Poliquin
Titel: Das Gewicht von Schnee
Herausgeber
: Hoffmann und Campe Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 07. Oktober 2020
Buchlänge: 288 Seiten
Titel der Originalausgabe: Le poids de la neige
ISBN: 978-3-455-00932-3
Preis: HC 24,00€ / eBook 16,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Nach einem schweren Autounfall ist ein junger Mann gezwungen, auszuharren: in einem Dorf, das durch einen landesweiten Stromausfall und unaufhörlich fallenden Schnee immer mehr von der Außenwelt abgeschnitten wird, und bei einem älteren, hier ebenfalls nur gestrandeten Mann. Der nimmt ihn bloß auf, weil die Dorfgemeinschaft ihm im Gegenzug die Versorgung mit Lebensmitteln verspricht sowie einen Platz im einzigen Bus, der im Frühjahr Richtung Stadt aufbrechen wird. Während das Dorf immer tiefer im Schnee versinkt, schwanken die beiden vom Zufall zusammengezwungenen Männer zwischen Mitleid und Misstrauen, Hilfsbereitschaft und Hass. Werden sie durchhalten bis es taut? Sprachlich präzise und lyrisch zugleich erzählt Christian Guay-Poliquin einen ungewöhnlichen Pageturner, dessen dramatische Intensität seinesgleichen sucht und der vielfach preisgekrönt wurde.

Quelle: Hoffmann und Campe Verlag

 

 

 

Manchmal, nachdem ich ein Buch beendet habe, frage ich mich, ob es das wert gewesen war. Die Stunden, die ich in diese Geschichte gesteckt habe, obwohl ich vielleicht lieber eine gute Serie geschaut oder wer weiß was gemacht hätte.
manchmal habe ich das Gefühl, dass ich dieselbe Geschichte schon viel zu oft gelesen habe – dass da einfach nichts mehr Neues kommt.

Und dann sind da Bücher, die mich vom Gegenteil überzeugen. Die mir das Gefühl geben, dass es sich gelohnt hat. Die mich belohnen mit ihren Worten und ihrer Geschichte. Die mich im Kopf reisen lassen, überraschen, unterhalten und mir das Gefühle schenken. Bücher wie Das Gewicht von Schnee, das ich in der letzten Woche verschlungen habe.

 

Kein Streudienst mehr, kein Strom. Aber Schnee, immer mehr.
Als der junge Erzähler seinen Vater nach Jahren ohne Kontakt in seinem weit entfernten Geburtsort besuchen will, baut er kurz vor dem Ziel einen schweren Autounfall. Beide Beine sind gebrochen, und da sein Vater nicht mehr lebt, wird er dem Außenseiter Michael zur Pflege anvertraut. Seine geliehene Hütte mit der zugigen Veranda steht etwas außerhalb der Dorfgemeinschaft, doch im Austausch für Brennholz, Lebensmittel und einem Versprechen, willigt er schließlich ein. Michael selbst stammt nämlich nicht aus diesem Dorf und er möchte es auch so schnell wie möglich wieder verlassen, um zu seiner Frau zurückzukehren. Und der Konvoi, der im Frühjahr in die Stadt aufbricht, reserviert ihm dafür einen Platz.
Doch als Tag für Tag mehr Schnee kommt, wachsen auch die Herausforderungen an die beiden Männer, die in der Nähe des Holzofens mühsam versuchen eine Bindung zueinander aufzubauen. Da helfen auch die vereinzelten Gespräche mit Joseph, Jonas und der schönen Maria aus dem Dorf nicht.
Denn der Winter wiegt schwer und die Spannungen sind deutlich spürbar.

Wir wollen unserem Schicksal entkommen und werden von Lauf der Dinge verschlungen. Von einem Wal verschluckt. Tief unten im Wasser hoffen wir, dass der Wal auftaucht und uns ans Ufer spuckt. Wir sitzen im Bauch des Winters fest, in seinen Eingeweiden. Wir hocken in der warmen Dunkelheit uns wissen, dass wir dem, was auf uns zukommt, nicht entfliehen können.
(Seite 104)

 

Irgendwie passt Das Gewicht von Schnee sehr gut in unsere momentane Situation – und das beziehe ich jetzt nicht auf den kommenden Winter, der uns vielleicht mit ein paar leichten Schneeflocken beglückt, sondern eher auf die der Pandemie, die wir alle gerade aushalten müssen.
Klar haben wir, im Gegensatz zu den Charakteren im Buch Strom, sind nicht von der Außenwelt abgeschnitten und besitzen ausreichend Essen und Kommunikationsmittel, aber das gemeinsam-an-ein-Haus-gefesselt-sein und uns einander aushalten müssen – nicht zu wissen, wann sich die Situation endlich entspannt – teilen wir mit den Figuren von Christian Guay-Poliquin schon.

Und mit dem steigenden Gewicht des Schnees, der anfangs nur kniehoch lag, dann aber dramatische und bedrohliche Dimensionen annimmt, steigt auch der Druck auf die Menschen, die einerseits in dieser Krise voneinander abhängig sind, gleichzeitig aber auch feindseliger und immer egoistischer werden.

Dem Autor ist sparsam mit seinen Informationen und richtet die Aufmerksamkeit fast ausschließlich auf seine beiden Hauptfiguren, doch man ahnt, dass da draußen, rund um diesen unbekannten Ort, schlimmes passiert sein muss.
Mit seiner klaren, aber auch poetischen Sprache gelingt es Christian Guay-Poliquin ihre Gefühlswelt einzufangen, auch wenn Emotionen selten offen gezeigt werden.
Der immer gleiche Tagesablauf, die Zeit, die sich auszudehnen scheint, die Langeweile durch das Eingesperrt sein, all das ist deutlich spürbar und erzeugt ein Unbehagen, das mir sehr oft Gänsehaut beschert hat. Zwar spendet das Feuer eine gewisse Wärme, aber ansonsten herrscht Kälte und die Menschen zeigen nach und nach auch ihre grausamen Seiten.
Man wartet förmlich auf den Supergau, beobachtet gebannt, wie der Ich-Erzähler und Michael sich erst annähern und dann tonlose Drohungen ausstoßen.
Es ist kein Buch über eine ewig währende Männerfreundschaft. Beide ziehen sich an, stoßen sich aber ebenso hart wieder ab.

Wie endet es? Überleben beide oder nur der Stärkere? Finden sie ihren Weg aus dem Dorf gemeinsam und können sie sich aufeinander verlassen, obwohl sie eigentlich zwei völlig Fremde sind?
Diese Fragen gingen mir ständig durch den Kopf. Ich konnte das Buch nicht zur Seite legen, denn es war spannender als so mancher Thriller – subtiler und erschreckend realistisch.
Ich kann euch das Buch nur ans Herz legen, denn es hat definitiv viel mehr Aufmerksamkeit verdient!

 

 

 

Christian Guay-Poliquin erzählt in seinem Roman Das Gewicht von Schnee meisterhaft vom Versuch, unter extremen Bedingungen wenigstens das eigene Leben zu retten.
Eine sehr dichte Erzählung, die einen zu erdrückendroht, aber gleichzeitig auch eine wunderschöne Hommage an die Natur bildet.

Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung!

 

 

♥ Vielen Dank an den Hoffmann und Campe Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über den Autor
Christian Guay-Poliquin, geboren 1982 in Saint-Armand/Québec, studierte Literaturwissenschaften in Montréal und Reims/Frankreich. Zurzeit arbeitet er an seiner Doktorarbeit sowie an seinem nächsten Roman. Für Das Gewicht von Schnee wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Governor General’s Award for Fiction, dem Prix France-Québec, dem Prix Ringuet de l’Académie des Lettres du Québec und in Frankreich u.a. mit dem Prix Libr’à Nous. Christian Guay-Poliquin lebt mit seiner Familie am Lake Champlain, direkt an der Québecschen Grenze zu den USA.

Quelle: Hoffmann und Campe Verlag

 

 

 

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