Rezension Elena Ferrante – Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Rezension Elena Ferrante – Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Rezension Elena Ferrante – Das lügenhafte Leben der Erwachsenen

Autor: Elena Ferrante
Titel: Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Herausgeber: Suhrkamp Verlag 
Datum der Erstveröffentlichung: 29. August 2020
Buchlänge: 415 Seiten
Titel der Originalausgabe: La vita bugiarda degli adulti
ISBN: 978-3-518-42952-5
Preis: HC 24,00€ / eBook 20,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Neapel in den Neunzigern, Giovanna ist dreizehn Jahre alt, die Vorzeigetochter kultivierter Mittelschichtseltern, eine strebsame Schülerin. Doch plötzlich verändert sich alles, ihr Körper, ihre Stimmung, die Noten brechen ein, und immer öfter gerät sie mit ihren Eltern aneinander. Zufällig kommt Giovanna der Vorgeschichte ihres Vaters auf die Spur, der aus einem ganz anderen Neapel stammt, einem leidenschaftlichen, vulgären Neapel. Dort treibt sie sich herum, aber die Geheimnisse, auf die sie da stößt, verstören sie. Und als sie bei einem Abendessen bemerkt, wie ein Freund der Familie unterm Esstisch zärtlich die Füße ihrer Mutter streift, verliert sie vollends die Fassung. Denn wem kann sie überhaupt noch trauen? Und was soll ihr Halt geben? Oder ist sie selber bereits unrettbar verwoben in dieses lügenhafte Leben der Erwachsenen?

Quelle: Suhrkamp Verlag

 

 

 

Kennt ihr das? Ihr beginnt ein Buch und seid sofort drin. Die Protagonisten sind euch auf Anhieb sympathisch und fast schient es so, als hätten sie euch direkt das Du angeboten. Herrlich solche Bücher, oder? Ich liebe dieses Gefühl und wenn es dann auch noch bis zum Ende anhält, ist es eins der schönsten für das Leserherz.
Aber ab und an gibt es auch Geschichten, für die man länger braucht. Mal sind die Charaktere schwieriger zu greifen, mal ist es die Sprache des Autors – und manchmal ist es auch gar nichts von beidem, sondern einfach nur ein Bauchgefühl. Dass das aber überhaupt nichts Schlechtes bedeuten muss, sondern sogar dazu führen kann, dass man sich intensiver mit allem auseinandersetzt, hat mir Elena Ferrante mit ihrem neuen Buch Das lügenhafte Leben der Erwachsenen eindrucksvoll bewiesen. Denn es war eines das nachhallt und erst einmal sacken muss, bevor es seine ganze Magie entfaltet.

 

Giovanna ist die wohlerzogene Tochter zweier Gymnasiallehrer. Andrea, der Vater, brilliert unter anderem auch als politischer Essayist, die Mutter Nella korrigiert nebenher Liebesromane. Die Kleinfamilie wohnt im Rione Alto in Nepal, einem Viertel der Erfolgreichen, weiter unten wohnt das Elend. Und genau dort kommt ursprünglich Giovannas Vater her, dort, wo immer noch seine Schwester Vittoria wohnt. Sie, die nach fünf Jahren von der Schule abging und als Putzfrau arbeitet hasst die Arroganz der Aufsteiger, die wiederrum aber verachteten die Zurückgebliebenen. Und so will Andrea mit Armut gar nichts zu tun haben, schon gar nicht mit seiner Schwester, denn seiner Meinung nach kann jeder, der fleißig lernt und sich anständig benimmt, alles schaffen.
Doch ausgerechnet Giovanna findet in der fluchenden und lauten Vittoria ein Identifikationsobjekt und verfällt ihrer Tante, weil sie sich in ihr wiedererkennt – im Gegenzug jedoch, bröckelt die Fassade des anständigen Elternhauses bald beachtlich.

 

Gleich zu Beginn muss ich erst einmal gestehen, dass Das lügenhafte Leben der Erwachsenen mein erstes Buch von Elena Ferrante war und ich somit keine Vergleichsmöglichkeiten zu ihren früheren Romanen habe. Aber dass ich das dringend ändern muss, wurde mir spätestens letztes Jahr klar, als ein befreundeter Blogger mir in höchsten Tönen von dieser Autorin vorgeschwärmt hat. Und weißt du was Florian: Jetzt fühl ich das Fieber endlich auch!

 

Zwei Jahre bevor mein Vater von zu Hause wegging, sagte er zu meiner Mutter, ich sei sehr hässlich.
(Seite 9)

 

Mit diesem Satz beginnt Das lügenhafte Leben der Erwachsenen und in diesem einen Satz kann man eigentlich schon zwei der drei Dramen herauslesen, um das sich dieses Buch dreht:
Das Auseinanderbrechen einer Familie und der Hass eines pubertierenden Mädchens auf ihren sich verändernden Körper. Aber es geht auch noch um Lügen, die Erwachsende zwar verbieten, aber ständig selbst verbreiten.

Wir behaupten manchmal Dinge, an die wir glauben wollen, auch wenn andere etwas ganz anderes behaupten und auf diese Weise Realität herstellen – und genau das ist es auch, was wir hier am Beispiel von Giovanna erleben.
Diesen Roman, den man tatsächlich easy peasy an einem Abend weglesen kann, ohne irgendetwas kompliziert zu finden, dreht sich permanent um die Konstruktion von Wahrheit und um das Drama des Erwachsenwerdens, formuliert und aufgeschrieben in einer einfachen und klaren Sprache.

Es geht um Geschichten, die sich Menschen über sich selbst erzählen. Um die Fassung ihrer Story, auf die sie sich selbst geeinigt haben und nicht wollen, dass diese beschädigt oder durcheinandergebracht wird.

Sie alle prägen das Buch, das einen Einblick in die psychologischen Tiefen einer Familie gibt und dabei stellt man sich permanent die Frage: Sind wir dazu verdammt, so zu werden wie unsere Eltern und Verwandten?

 

Ihre Fähigkeit zu lieben hatte sie wohl schon lange eingebüßt, wahrscheinlich bei Enzos Tod, aber ihre Fähigkeit zu hassen war scheinbar grenzenlos.
(Seite 147)

 

Was mir aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass Elena Ferrante sich in ihrer Geschichte sehr auf das Private beschränkt. Zwar wird ab und an die Stadt Neapel und ihr Aufbau beschrieben, aber den Zeitgeist der 90er Jahre, in denen der Großteil von Giovannas Jugend spielt, kann man nur erahnen. Hier ist keine Rede vom bevorzugten Musikgeschmack des Teenagers oder den politischen Skandalen zu dieser Zeit und darum wirkt dieser Roman vielleicht auch ungewöhnlich zeitlos, aber auch ungewöhnlich gut.

Ich gebe zu, ich habe etwas gebraucht, bis mich der Ferrante-Flair gepackt hat, aber zwei Tage nach dem Beenden hat er mich gepackt!
Das Ende selbst bleibt so offen wie das Leben, das vor Giovanna liegt, als man die letzte Seite gelesen hat und ich weiß schon jetzt, dass ich mehr von dieser Autorin lesen will.
Ich habe wirklich nichts auszusetzten und das passiert mir selten.

 

 

 

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen ist ein sinnliches und unterhaltsames Buch über Beziehungen und Freundschaften, ersten sexuellen Erfahrungen, dem Zerfall einer Familie und dem Erwachsenwerden.
Für mich mein erster Ferrante, aber definitiv nicht mein letzter!

 

 

♥ Vielen Dank an den Suhrkamp Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über die Autorin
Elena Ferrante hat sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden. Ihre vierbändige Neapolitanische Saga – bestehend aus Meine geniale Freundin, Die Geschichte eines neuen Namens, Die Geschichte der getrennten Wege und Die Geschichte des verlorenen Kindes – ist ein weltweiter Bestseller. Zuletzt erschienen im Suhrkamp Verlag auch Ferrantes frühere Romane Lästige Liebe, Tage des Verlassenwerdens und Frau im Dunkeln, sowie der Band Frantumaglia, der Briefe, Aufsätze und Interviews versammelt.

Quelle: Suhrkamp Verlag 

 

 

2 Kommentare

  1. Gabi Wagner
    3. Februar 2021 / 22:17

    Für mich mein erster Ferrante, aber definitiv mein letzter!

    DIESER Satz am Ende des Fazit hat mich ziemlich verstört. Es kann nur ein Schreibfehler sein, der allerdings berichtigt werden sollte

    • 17. Februar 2021 / 8:14

      Ohhh ja – Danke für den Hinweis!
      Was so ein Wort, oder das Fehlen eines Wortes doch ausmachen kann 🙂

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