Rezension Friedrich Dürrenmatt – Der Besuch der alten Dame

Rezension Friedrich Dürrenmatt – Der Besuch der alten Dame

Autor: Friedrich Dürrenmatt
Titel: Der Besuch der alten Dame
Herausgeber: Diogenes Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 01. Oktober 1998
Buchlänge: 160 Seiten
ISBN: 978-3-257-23045-1
Preis: TB 10,00€ / eBook 7,99€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Claire Zachanassian kehrt als steinreiche Frau in ihr Heimatdorf Güllen zurück, wo ihr einst das Herz gebrochen und die Ehre geraubt wurde. Nun will sie sich rächen und bietet der Güllener Bevölkerung eine Milliarde dafür, dass ihr damaliger Liebhaber Ill für sein Vergehen mit dem Tod bestraft wird. Ein Angebot, das die Bürger entrüstet zurückweisen. Zunächst.

Quelle: Diogenes Verlag

 

 

 

Wenn Theaterstücke doch nur immer so amüsant zu lesen wären, wie Der Besuch der alten Dame, hätte ich mit Sicherheit schon mehr als nur eine Handvoll davon gelesen.
Wenn gängige Schullektüre nur mit mehr dieser komödiantischen Gesellschaftskritik ausgestattet wäre, würden junge Menschen sicherlich mit mehr Elan an solche Bücher herangehen.
Ja freilich stelle ich hier gerade nur Hypotesten auf, aber ich denke nicht, dass ich der einzige Mensch bin, der ähnlich denkt, denn das zentrale Konzept, dass sich alle menschlichen Werte mit Geld kaufen lassen, war bestimmt nicht nur im Erscheinungsjahr 1956 aktuell.
Und so zeigt uns Friedrich Dürrenmatt hier auf äußerst unterhaltsame Art und Weise, wie eine ganze Gemeinde durch den Ehrgeiz ihrer Mitglieder zur Korruption getrieben wird.

Das Örtchen Güllen, in dem Alfred Ill lebt, ist wirtschaftlich am Ende. Doch die Bewohner sind überzeugt, dass die finanzielle Hilfe durch seine Ex-Freundin, die ebenfalls vor Jahren in diesem Ort gelebt hat, ausreichen würde, um genau das zu ändern – denn Claire Zachanassian, wie sie sich heute nennt ist reich. Steinreich.
Selbstverständlich heißt sie das Dorf dementsprechend willkommen und die alte Dame ist auch mehr als gewillt ihre Heimat zu retten, jedoch knüpft sie daran eine Bedingung: Die Milliarde wird erst locker gemacht, wenn einer Alfred, ihren einstigen Geliebten tötet, der sie damals ins Unglück stürzte.

 

Die Hölle liegt in Ihnen. Sie sind älter als ich und meinen die Menschen zu kennen, doch kennt man nur sich. Weil Sie ein Mädchen um Geld verraten haben, einst vor vielen Jahren, glauben Sie, auch die Menschen würden Sie nun um Geld verraten. Sie schließen von sich selbst auf andere.
(Seite 74)

 

In dieser tragischen Komödie zeigt Friedrich Dürrenmatt auf ziemlich groteske und unterhaltsame Art und Weise, dass allein Geld die Welt regiert und entlarvt dabei die Verlogenheit der bürgerlichen Moral. Mit diesem Konflikt trifft er genau ins Schwarze der ewigen menschlichen Widersprüche und stellt gleichzeitig die Frage ob Gerechtigkeit wirklich käuflich ist.
Denn obwohl die Güllener sich zunächst weigern, ihren Mitbürger Alfred umzubringen, bekommt Claire über kurz oder lang ihren Willen und dieses moralische Einknicken kann man durchaus als Versagen interpretieren. Sieht man allerdings genauer hin, erscheint es etwas zu einfach genau das lediglich auf die Gier und die Doppelmoral zurückzuführen – schließlich handelt es sich hierbei um eine Krisensituation, bei der das Gemeinwohl auf dem Spiel steht. Ebenso knicken die Güllener nicht einfach mit einer Milliarde vor der Nase ein, weil sie vor lauter Gier all ihre Prinzipien über Bord werfen, vielmehr verlieren sie eher gemächlich den Boden unter den Füßen durch moralische Erosionen. Und als die Bürger abschließend tatsächlich bereit sind, ein Gemeindemitglied zu opfern, steht allein Claire in der Verantwortung, diesem Wahnsinn ein Ende zu bereiten, denn in erster Linie hat sie die Regeln und Rahmenbedingungen bestimmt. Die Güllener hingegen handeln lediglich als Vollstrecker.

Um eine Verbindung zur heutigen Wirklichkeit herzustellen, kostet ebenfalls keiner besonderen Anstrengung, denn die Verschuldung von Städten und Gemeinden dürfte sich seit damals locker vervielfacht haben. Immer mehr Produktionsstandorte werden aufgegeben und ins Ausland verlegt, jeder will eine möglichst gute Verkehrsanbindung an Autobahnen und ihre Zubringer. Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass auf dem Land immer mehr Fabrikgebäude leer bleiben.
Immer öfter steht heutzutage die totale und willkürliche Herrschaft des Kapitals über Moral und Gesellschaft, das sich ohne Rücksicht über gesellschaftliche Regeln und Verpflichtungen hinwegsetzt und wenn man es auf die Spitze treiben möchte, könnte man im Jahr 2020 durchaus auch Donald Trump als Dürrenmatts alte Dame einsetzen. Claire versprach der Gemeinde nämlich den Wohlstand und Trump warb in seinem Land mit dem Slogan: I will make America great again.

 

 

Dürrenmatts Drama um den Besuch der alten Dame zeichnet sich durch originelle Ideen, Tiefe und Kürze aus. Kaum ein Wort scheint belanglos, alles arbeitet auf den Höhepunkt zu.
Ich habe das Stück sehr genossen und werde mir definitiv weitere Werke von diesem Autor zulegen.

 

 

♥ Vielen Dank an den Diogenes Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über den Autor
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 in Konolfingen bei Bern als Sohn eines Pfarrers geboren. Er studierte Philosophie in Bern und Zürich und lebte als Dramatiker, Erzähler, Essayist, Zeichner und Maler in Neuchâtel. Bekannt wurde er mit seinen Kriminalromanen und Erzählungen ›Der Richter und sein Henker‹, ›Der Verdacht‹, ›Die Panne‹ und ›Das Versprechen‹, weltberühmt mit den Komödien ›Der Besuch der alten Dame‹ und ›Die Physiker‹. Den Abschluss seines umfassenden Werks schuf er mit den ›Stoffen‹, worin er Autobiographisches mit Essayistischem verband. Friedrich Dürrenmatt starb 1990 in Neuchâtel.

Quelle: Diogenes Verlag https://www.diogenes.ch/leser/autoren/d/friedrich-duerrenmatt.html

 

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