Rezension Margaret Atwood – Lady Orakel

Rezension Margaret Atwood – Lady Orakel

Autor: Margaret Atwood
Titel: Lady Orakel
Herausgeber: Piper Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 03. April 2017
Buchlänge: 416 Seiten
Titel der Originalausgabe: Lady Oracle
ISBN: 978-3-492-31118-2
Preis: TB 12,00€ / eBook 11,99€
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 Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt ♥

 

 

Als Kind wegen ihres unglaublichen Übergewichts gehänselt und von der eigenen Mutter abgelehnt, findet Joan Foster in ihrer ebenso dicken wie skurrilen Tante Lou eine Verbündete. Als diese stirbt, hinterläßt sie Joan ein Vermögen. Doch der Anspruch auf das Erbe ist an eine Bedingung geknüpft: Joan muß 40 Kilo abnehmen, um in den Genuss des Geldes zu kommen. Mit gewohnt spitzer Feder setzt Margaret Atwood in „Lady Orakel“ zu einem Rundumschlag gegen menschliche Schwächen an und entwirft wie nebenbei das Porträt einer ganz und gar ungewöhnlichen Frau auf der Suche nach ihrer Identität.

Quelle: Piper Verlag

 

 

Mitte des Jahres habe ich ja zusammen mit einer Freundin meine ersten beiden Margaret Atwood Romane überhaupt gelesen: Der Report der Magd und anschließend Die Zeuginnen – und beeindruckt wie wir beide davon waren, musste einfach mehr Lesestoff von dieser großartigen Schriftstellerin her. Die Wahl fiel nicht wirklich schwer, denn Lady Orakel hat mich nicht nur optisch sondern auch vom Klappentext sofort angesprochen, aber ob dieses Geschichte mich auch wirklich genauso fesseln kann, wie ihre wohl berühmtesten Werke, daran hatte ich tatsächlich so meine Zweifel. 

 

Ich plante meinen Tod mit Bedacht – anders als mein Leben, das, trotz meiner lahmen Versuche, es unter Kontrolle zu halten, dauernd auf Abwege geriet.
(Seite 5)

 

Ihren eigenen Tod vortäuschen: Für Joan Foster, eine gefeierte Schriftstellerin, scheint dies der einzige Ausweg zu sein, aus ihrem alten Leben auszubrechen. Also ertrinkt sie bei einem vermeintlichen Bootsunfall, setzt sich nach Italien ab, verändert ihr Aussehen und wartet ab.
Doch ihre Gedanken ruhen nicht, während ihr ganzes Leben an ihr vorbeigleitet – angefangen von ihrer traumatischen Kindheit und der gestörten Beziehung zu ihrer Mutter und dem Essen, bis hin zu ihrer lügenreichen Ehe mit Arthur. 

 

Ich aß aus Trotz ihr gegenüber, aber auch aus Panik. Manchmal fürchtete ich, nicht wirklich da zu sein, ich war ein unglücklicher Zufall. Ich hatte gehört, wie sie mich als Unglücksfall bezeichnete. Wollte ich deshalb massiv werden, massiv wie ein Stein, damit sie mich nicht mehr loswerden konnte? Hatte ich das Leben meiner Mutter ruiniert? Ich wagte nicht zu fragen.
(Seite 90)

 

Margaret Atwood fängt dort an zu schreiben, wo andere Autoren aufhören – das zumindest fühle ich, wenn ich ihre Charaktere kennenlerne. Ihre Geschichten tun weh, körperlich und seelisch, entweder weil man sich selbst darin wiederfindet und wie in einem Spiegel seine eigenen Fehler erkennt, oder gesellschaftliche Missstände aufgezeigt werden. Bei Lady Orakel war es natürlich vorranging das Gewichtsproblem von Joan, denn während sie sich bis zum Erbrechen vollstopft und immer weiter zunimmt, habe ich in meiner Jugend genau das Gegenteil getan: Ich habe fast vollkommen mit dem Essen aufgehört. Weder Ratschläge noch Aufforderungen meiner Eltern konnten mich damals daran hindern und ähnlich wie bei Joan, wurde mit diesen gutgemeinten Tipps alles nur noch schlimmer.
Zum Glück kann ich aber dennoch behaupten, dass sich das Verhältnis zu meinen Eltern extrem von denen der Protagonisten hier unterscheidet, denn dieses ging mir wirklich mehr als unter die Haut. Nur die Beziehung zu ihrer Tante Lou war der Fels, an den sich Joan damals klammern konnte, war dieser ihr Gewicht vollkommen egal. Doch als sie stirbt, bekommt sie ebenfalls eine Auflage, die mit ihren Kilos zu tun hat:  Sie soll 100 Pfund abnehmen, um an das Erbe ihrer dahingeschiedenen Vertrauten zu kommen.
Und ab hier gleitet Joan ins nächste Extrem, isst nur noch sehr wenig und kann schon bald die Aufgabe als erledigt abhaken. Mit dem Erbe in der Tasche zieht sie schließlich aus, lernt verschiedene Männer kennen und heiratet Arthur, einen jungen, politisch interessierten Mann, mit dem sie einige Jahre eine glückliche Ehe führt. Doch auch hier kann sie sich nicht voll entfalten und verschweigt ihm zum einen ihre schriftstellerischen Ambitionen und ihre komplette fette Vergangenheit.

Ich muss zugeben, dass mich der Anfang von Lady Orakel wirklich fesseln konnte. Ich habe die erste Hälfte mehr als verschlugen und mit Joan gelitten, aber der Bruch kam leider genauso schnell. Denn mit dem Verlust von Joans Übergewicht wurde auch die Geschichte zusehends unspektakulärer und langatmiger – es blieb zwar der Eindruck einer gut geschriebenen Tragikomödie erhalten, allerdings ohne großartige Hochs und Tiefs. Auch die fiktiven Romanerzählungen von Joan fand ich in der Umsetzung extrem verwirrend, vermischten sie sich zwar mit ihrem eigenen Leben, gaben aber der Gesamtstory doch relativ wenig Input und Spannung. Selbst die Beziehung zu Arthur und die Geheimnisse ihrer Vergangenheit, die langsam ans Licht kommen, konnten das Ende nicht retten und so muss ich leider sagen, dass dieser Roman definitiv schwächer ist, als es die beiden anderen, bisher von mir gelesenen waren.

 

 

Insgesamt eine gut durchdachte und über weite Strecken eindringliche Geschichte einer passionierten und klugen Lügnerin, bei der es die Autorin aber mit dem Verwirrungskonstrukt leider etwas übertrieben hat. Dadurch lässt die Neugier auf Lüge und Wahrheit relativ schnell nach und am Ende war ich etwas enttäuscht, dass das, was mit so viel Aufwand begonnen wurde, so einfältig geendet hat. 

 

 

♥ Vielen Dank an den Piper Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über die Autorin
Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr „Report der Magd“ wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto.

Quelle: Piper Verlag

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