Rezension Kent Haruf – Das Lied der Weite

Rezension Kent Haruf – Das Lied der Weite

Autor: Kent Haruf
Titel: Das Lied der Weite
Herausgeber: Diogenes Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 01. Januar 2020
Buchlänge: 400 Seiten
Titel der Originalausgabe: Plainsong
ISBN: 978-3-257-24503-5
Preis: TB 13,00€ / eBook 9,95€
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♥ Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Victoria, siebzehn und schwanger, wird von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt. Da überredet ihre Lehrerin Maggie die Brüder McPheron, zwei alte Viehzüchter, das Mädchen bei sich aufzunehmen. Ein erst widerwilliger Akt der Güte, der das Leben von sieben Menschen in der Kleinstadt Holt in Colorado umkrempelt und verwandelt.

Quelle: Diogenes Verlag

 

 

 

Da ist dieses eine Buch, dass schon seit Ewigkeiten auf deinem SuB liegt, und jedes Mal, wenn du es zur Hand nimmst und den Klappentext liest denkst du dir: Später, jetzt ist einfach nicht der richtige Moment für dich.
Es vergehen Monate und irgendwann ist es endlich soweit. Der richtige Augenblick ist gekommen, die Stimmung ist perfekt und die Geschichte berührt dich.
Das ist ein Aspekt, den ich am Lesen so sehr liebe.
Klar könnte man sich jetzt ärgern und sagen: Hätte ich es doch schon vorher gelesen, wie konnte ich nur so lange um dieses großartige Buch herumschleichen?
Aber soll ich euch was sagen? Jedes Buch hat seine eigene Zeit. Es wird nicht schlechter, wenn man es aufhebt und vielleicht war es genau für diesen Zeitpunkt bestimmt – eine Woche früher oder später und die Worte hätten sich vielleicht nie so entfalten können.

In diesem speziellen Fall rede ich heute von Kent Harufs: Das Lied der Weite.
Ein Buch, dass mich tief bewegt, zum schmunzeln gebraucht und einfach nur begeistert hat.

 

Holt, eine fiktive Kleinstadt, irgendwo mitten in der Prairie von Colorado.
Sie 17-jährige Schülerin Viktoria Robideaux ist ungewollt schwanger, woraufhin ihre Mutter den Teenager kurzerhand vor die Tür setzt. Zuflucht findet sie vorerst bei ihrer Lehrerin Maggie Jones, doch da diese schon ihren pflegebedürftigen und geistig verwirrten Vater zuhause pflegt, kann Viktoria dort nicht lange bleiben und so überredet Maggie die Brüder Harold und Raymond McPheron das Mädchen zu sich zu nehmen. Aber diese zwei etwas kauzigen und wortkargen Junggesellen leben seit Jahrzehnten einsam und allein auf ihrer Kuhfarm, hatten noch nie eine Frau im Haus und scheinen mit der Aufgabe erstmal völlig überfordert.     

 

Schau uns an. Verschroben und ungebildet. Einsam. An Unabhängigkeit gewöhnt. Mit eingefahrenen Gewohnheiten. Wie willst du das alles in unserem Alter noch ändern?
(Seite 143)

 

Die Geschichte von Viktoria bildet aber nur einen Erzählstrang, denn parallel dazu entwickelt sich in das Lied der Weite auch die Geschichte des Lehrers Tom Gurthie. Seine Ehe scheitert nicht zuletzt an der Depression seiner Frau, die schließlich ihn und die beiden gemeinsamen Söhne Ike und Bobby verlässt.

Das alles klingt zunächst wenig spektakulär, zum einen, weil man sich ausschließlich in der oben genannten Kleinstadt Holt bewegt, in der die Bordsteine bereits ab 17:00 Uhr hochgeklappt werden und zum anderen, weil die Figuren aus einer Mischung von Viehzüchtern, Landärzten, Kindern und einsamen alte Damen merkwürdig zusammengewürfelt scheinen.
Doch Kent Haruf vermag es sogar hier, ganz leise, ganz lakonisch, an diesem Schauplatz die Erkenntnis zu vermitteln, dass es so etwas wie ein kleines oder langweiliges Leben nicht gibt.
Denn gerade diese einfachen Leute, die er hier zu den Protagonisten seines Romans auserkoren hat, erleben ebenfalls die Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins mit voller Wucht.
Da prallen Liebe und Hass, Einsamkeit und Sehnsucht nach Nähe, Aggression und menschliche Güte so unmittelbar aufeinander, dass es einem Großstadtdrama in nichts nachsteht und ich war oft so mitgenommen von dieser Vielzahl an Empfindungen, dass ich fast schon Tränen in den Augen hatte. Vor Glück, aus Freude, aber auch aus Wut.

In wechselnden Perspektiven lässt uns der Autor an den Gefühlen seiner Hauptcharaktere teilhaben – wobei auch die Nebenfiguren mit weniger Detailarbeit überzeugend gezeichnet sind.
Man fühlt sich von Anfang an weniger als Betrachter von außen, denn als Einwohner dieser kleinen Stadt und auch das unbestimmte Gefühl von Einsamkeit, das jeden zu einen scheint, kommt deutlich heraus.
Es ist etwas besonders Holt zu betreten, denn dieser Ort umhüllt einen wie eine warme Decke und der angenehme, wohltemperierte Erzählstil tut sein Übriges, um dort verweilen zu wollen.
Es ist eine beschauliche Welt, die sich hier auftut, aber nicht per se harmonisch oder gar kitschig. Die Schönheit offenbart sich erst im Laufe der dichten Erzählung und die Schicksale jedes Einzelnen finden in der Gemeinschaft den Trost und die Kraft weiterzumachen.
Ein warmherziges und lesenswertes Buch über Menschsein und Menschlichkeit, das gerne noch 500 Seiten mehr hätte haben können.

 

 

Das Lied der Weite vermittelt ein Zuhausegefühl, wie ein warmer Pullover zu einer herrlichen Tasse Kaffee. Es erzählt vom weiten Land und von den Leuten, die sich darin verlieren.
Einfach großartige Literatur, die melancholisch und froh zugleich macht.

 

 

♥ Vielen Dank an den Diogenes Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

Über den Autor
Kent Haruf, geboren 1943 in Colorado, war ein amerikanischer Schriftsteller. Alle seine sechs Romane spielen in der fiktiven Kleinstadt Holt im US-Bundesstaat Colorado. Er wurde unter anderem mit dem Whiting Foundation Writers’ Award, dem Wallace Stegner Award und dem Mountains & Plains Booksellers Award ausgezeichnet. Sein letzter Roman, ›Unsere Seelen bei Nacht‹, wurde zum Bestseller und mit Jane Fonda und Robert Redford in den Hauptrollen verfilmt. Haruf starb 2014.

Quelle: Diogenes Verlag

 

 

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