Rezension Raphaela Eselbauer – Das flüssige Land

Rezension Raphaela Eselbauer – Das flüssige Land

Autor: Raphaela Eselbauer
Titel: Das flüssige Land
Herausgeber: Klett-Cotta 
Datum der Erstveröffentlichung: 24. August 2019
Buchlänge: 350 Seiten
ISBN: 978-3-608-96436-3
Preis: HC 22,00€ / eBook 17,99€
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 Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die Wiener Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden, doch Groß-Einland verbirgt sich beharrlich vor den Blicken Fremder. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Unter dem Ort erstreckt sich ein riesiger Hohlraum, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch und seine wechselhafte Historie, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist.
Wird das Schweigen von der einflussreichen Gräfin der Gemeinde gesteuert? Und welche Rolle spielt eigentlich Ruths eigene Familiengeschichte? Je stärker sie in die Verwicklungen Groß-Einlands zur Zeit des Nationalsozialismus dringt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. Doch sie gräbt tiefer und ahnt bald, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind.

Quelle: Klett-Cotta   

 

 

Die Physikerin Ruth Schwarz forscht in Wien über eine alternative Theorie der Zeit und schreibt schon seit einigen Jahren an ihrer Doktorarbeit, als sie überraschend erfährt, dass ihre Mutter und ihr Vater bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sind. Wie sich wenig später herausstellt, war es ihren Eltern wichtig im Heimatdorf Groß-Einland beigesetzt zu werden. Also macht sich die eh schon psychisch angeschlagene Ruth auf den Weg, doch wie sie bald bemerkt, ist Groß-Einland weder auf einer Landkarte, noch in ihrem Navigationssystem verzeichnet und selbst die Mitarbeiter verschiedener Ämter erklären ihr, dass es weder in Österreich, noch in umliegenden Ländern je einen Ort mit diesem Namen gegeben hat. Durch einen glücklichen Zufall belauscht sie jedoch an einer Tankstelle zwei Männer, die genau dorthin unterwegs sind und beschließt, ihnen unauffällig zu folgen. Und nach der Durchquerung etlicher Trampelpfade und Waldstücke kommt sie schließlich an in Groß-Einland, nur scheint dort auf merkwürde Weise die Zeit still gestanden zu haben. Nicht nur das Stadtbild ist unfassbar sauber und perfekt, auch die Sitten und Gebräuche der Bewohner sind mehr als seltsam – und dann entdeckt sie das Loch, das sich quer über den Marktplatz zieht und wie ein Schlund alles zu verschlingen droht. 

Was lese ich hier eigentlich? Das war meine wohl meist gestellte Frage, als ich durch die 350 Seiten von Das flüssige Land flog. Und ich sage hier ganz bewusst flog, denn trotz aller Absurditäten, die mir Raphaela Eselbauer in ihrem Debütroman entgegenschleuderte, habe ich sie allesamt irgendwie geliebt. Da wären zum einen die sonderbaren Dialoge, die mich entfernt an die Teegesellschaft mit dem verrückten Hutmacher aus Alice im Wunderland erinnert haben: 

“Mein Name ist Dorothee, wenn Sie etwas brauchen, melden Sie sich.“ Ich zeigte auf ihre Brust. “Aber da steht doch Frau Erna.“ ‚Aber nein, das ist der Name des Gasthofs.“ “Ist das hier nicht die Pension zum Fröhlichen Kürbis?“ “Doch, doch.‘“
(Seite 59)

Oder die skurrile, mit Kafkas Werken vergleichbare Geschichte an sich, bei der ich immer wieder fassungslos den Kopf schütteln musste.
Alles ist merkwürdig, alles ist anders und auch das Loch, das sich durch Groß-Einland zieht, ist nicht das, was es vorgibt zu sein.
Dieser Ort mit all seinen Bewohnern hat sich nicht nur hervorragend sauber gehalten, sondern auch die dreckige Vergangenheit gleich mit begraben – denn wie sich herausstellt wurde die Stadt im 2ten Weltkrieg zerstört und dann mit Unmengen Beton zugeschüttet um so zu tun, als hätte es den Nationalsozialismus und die Massenmorde nie gegeben. Kein Außenstehender soll beurteilen können, was die Bewohner während des Krieges gemacht haben, niemand soll die Leichen im Keller je finden. Aber im Untergrund brodelt es gewaltig und das gigantisch schwarze Loch droht, die Gemeinde zu verschlingen. 

Interessant zu lesen, wie ein Hohlraum unter der Stadt als Metapher für das Verdrängen genutzt wird. Verrückt, wie die alte Schuld unter der Erde flüssig bleibt, weil der physische Abgrund mit dem moralischen so eng verknüpft ist.
Raphaela Eselbauer hat mit Das flüssige Land einen faszinierenden Roman geschrieben, der dystopisch und gleichzeitig visionär wirkt. Er ist spannend, brodelt im Bauch und fordert heraus. Und es ist definitiv ein Buch, das mir noch lange im Gedächtnis bleiben wird.

 

 

Eine Geschichte wie ein Fiebertraum: Vieles bleibt verschwommen und noch mehr offen. Man findet keine direkten Antworten, dafür aber umso mehr Rätsel und Denkanstöße.
Ich denke einige Leser werden mit Das flüssige Land aufgrund der Surrealität nicht wirklich warm werden, mich hingegen konnte das Buch aber überzeugen.
Von mir gibt es hier eine klare Leseempfehlung. 

 

 

♥ Vielen Dank an den Klett-Cotta Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über die Autorin
Raphaela Edelbauer, geboren 1990 in Wien, wuchs im niederösterreichischen Hinterbrühl auf. Sie studierte Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst, war Jahresstipendiatin des Deutschen Literaturfonds und wurde für ihr Werk »Entdecker. Eine Poetik« mit dem Hauptpreis der Rauriser Literaturtage 2018 ausgezeichnet. Beim Bachmannpreis in Klagenfurt gewann sie 2018 den Publikumspreis. 2019 wurde ihr der Theodor-Körner-Preis verliehen.

Quelle: Klett-Cotta

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