Rezension Max Czollek – Desintegriert euch!

Rezension  Max Czollek – Desintegriert euch!

Autor: Max Czollek
Titel: Desintegriert euch!
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
Datum der Erstveröffentlichung: 20. August 2018
Buchlänge: 208 Seiten
ISBN: 3446260277
Preis: HC 18,00€ / eBook 13,99€
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 Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

Max Czolleks verblüffender Denkanstoß, der die Debatte um Integration und Zugehörigkeit verändert – ein wildes Zeugnis der jüdischen Szene
Max Czollek ist dreißig, jüdisch und wütend. Denn hierzulande herrschen seltsame Regeln: Ein guter Migrant ist, wer aufgeklärt über Frauenunterdrückung, Islamismus und Demokratiefähigkeit spricht. Ein guter Jude, wer stets zu Antisemitismus, Holocaust und Israel Auskunft gibt. Dieses Integrationstheater stabilisiert das Bild einer geläuterten Gesellschaft – während eine völkische Partei Erfolge feiert. Max Czolleks Streitschrift entwirft eine Strategie, das Theater zu beenden: Desintegration. Desintegriert euch! ist ein Schlachtruf der neuen jüdischen Szene und zugleich eine Attacke gegen die Vision einer alleinseligmachenden Leitkultur. Dieses furios streitbare Buch ist die Polemik der Stunde.

Quelle: Hanser Verlag

 

 

Gleich vornweg muss ich gestehen, dass ich weder ein überdurchschnittlich großes Interesse an Politik habe, noch Bücher oder Fachzeitschriften darüber wälze. Ich selektiere was wichtig ist, kenne unsere Geschichte, schaue auch ab und an die Tagesthemen, aber beschäftige mich dann mit Dingen, die mir als “wichtig“ erscheinen.
Doch ich kenne Ungerechtigkeit, wenn ich sie sehe und habe eine eigene Meinung zu Integration, Rassismus, Gleichberechtigung und Menschenrechte und muss ganz sicher keiner fachsimpelei einer Polit-Talkshow standhalten, um diese auch zu vertreten.
Aber ich genieße es durchaus andere Meinungen zu hören und lasse mich dann auch gerne von diesen überzeugen, wenn sie sich mit meinem Gewissen vereinbaren lassen. 
Deswegen erwartet von mir jetzt an dieser Stelle keine hochtragend analytische Rezension – es handelt sich hier vielmehr um eine Zusammenfassung meiner Gedanken während des Lesens.

“Desintegriert euch!“ von Max Czollek war für mich deshalb interessant, weil der Klappentext endlich einmal nicht nach staubtrockener Lektüre geklungen hat. Ein bisschen mutig, ein bisschen witzig aber in jedem Fall wichtig, stellt und beantwortet der Autor Fragen, die mir auch selbst oft durch den Kopf gehen – Kurzum, er beschäftigt sich mit einem Themengebiet, das wohl nie an Brisanz und Aktualität verlieren wird. 

Was ist deutsch? Woran machen wir das fest? Wann gilt man als integriert und wer entscheidet darüber, wer dazu gehört? Dürfen wir unser Land lieben und gar ‚Heimat‘ nennen? Müssen wir Deutsche uns denn immer noch wegen unserer Vergangenheit schämen oder dürfen wir nun endlich stolz sein, Deutsch zu sein? Wie fühlen sich Juden, wenn in ihrem Beisein immer wieder der Nationalsozialismus zur Sprache kommt? Reduzieren wir sie immer nur auf den Holocaust und erhoffen uns in ihrem Beisein vielleicht Vergebung á la “Schon ok, du warst doch nicht dabei“ oder “Schwamm drüber, ist doch jetzt echt schon lange her“?
Und warum zur Hölle gibt es eigentlich immer wieder Futter für Rechtsextremisten?

Ok, zur letzten Frage gibt es keine pauschale Antwort oder gar ein Gegenmittel, aber Max Czollek startet einen Auf- und Erklärungsversuch, der für Gesprächsstoff sorgt.

Er fordert die in Deutschland lebenden Juden zu mehr Selbstbewusstsein auf, da Deutsche sie nicht wirklich als Menschen, Künstler oder Autoren wahrnehmen, sondern ihnen vielmehr eine festgelegte Rolle im sogenannten „deutschen Gedächtnistheater“ zuschreiben. 

“Die Judenrolle folgt dabei einem Skript, das den Titel ‘Die guten Deutschen’ trägt.  Denn das ist seit Jahrzehnten die Funktion der Juden in der Öffentlichkeit: die Wiedergutwerdung der Deutschen zu bestätigen.“

Auch bescheinigt Czollek der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland einen Rechtsrutsch und zieht eine Verbindung von der Rede Martin Walsers 1998, in der dieser kritisierte, dass man den Deutschen ihre nationalsozialistische Vergangenheit immerzu vorhielte, zur Verunglimpfung des Berliner Holocaust-Mahnmals als “Denkmal der Schande“ durch AFD-Politiker Björn Höcke.
Als Beschleuniger sieht er außerdem die Fußball-WM 2006, das sogenannte deutsche Sommermärchen. 

Und dann kam 2006. Und mit 2006 kamen die Flaggen. Was mich damals überraschte, war die Rhetorik, mit der der schwarz-rot-goldene Rausch nahezu unwidersprochen als kollektive Entlastung gefeiert wurde (…) 2006 verhielten sich die Menschen, als würden sie eine lang getragene Last abschütteln. “Endlich dürfen wir wieder“ riefen sie und malten sich Flaggen ins Gesicht… Die Deutschen erlebten die WM 2006 als eine kollektive Erleichterung darüber, dass es endlich wieder erlaubt war, die Deutschlandfahne zu schwingen wie früher.
(Seite 37/38)

Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir ebenfalls diese WM im Fernsehen angeschaut habe. Ich habe gejubelt, als Tore fielen und mich gefreut, als der Titel im Sack war, aber ich könnte mir nie eine Fahne ins Gesicht oder aufs Auto kleben. Für mich ist dieser, ich nenne es einfach mal Nationalstolz, ehr unangenehm als beglückend.

Ja, Max Czolleks Ton ist häufig provozierend aber definitiv notwendig. Er hat keine Scheu, den Menschen auf die Füße zu treten oder ihnen verbale Brocken hinzuwerfen, die zu Verdauungsproblemen führen können. Er öffnet Augen, und zeigt, wie er die Dinge sieht.
Er hinterfragt die heutige Politik und kritisiert die Beweihräucherung der Vorzüge von Integration, Heimat und Leitkultur.
Seine Worte und sein Buch gefallen sicherlich nicht jedem, aber mit der Grundfrage, wie wir wirklich zusammenleben wollen, spricht er einen Punkt an, mit dem sich alle einmal auseinandersetzten sollten.

 

 

“Desintegriert euch!“ ist ein Plädoyer für eine vielfältige und bunte Gesellschaft und ein Buch, dass ich wirklich nur empfehlen kann. 

 

 

♥ Vielen Dank an den Hanser Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über den Autor

Max Czollek wurde 1987 in Berlin geboren, wo er bis heute lebt. Bis 2006 besuchte er die Jüdische (Ober-)Schule Berlin und schloss ein Studium der Politikwissenschaften an der FU Berlin an, das er mit einer Promotion am Zentrum für Antisemitismusforschung beendete. Mit Sasha Marianna Salzmann kuratierte er 2016 die Veranstaltung »Desintegration. Ein Kongress zeitgenössischer jüdischer Positionen«. Seit 2009 ist er Mitglied des Lyrikkollektivs G13, organisiert gemeinsame Lesetouren und Veröffentlichungen und ist Kurator des internationalen Lyrikprojekts »Babelsprech«. Außerdem ist er Mitherausgeber der Zeitschrift Jalta – Positionen zur jüdischen Gegenwart. Im Verlagshaus Berlin erschienen bislang die zwei Gedichtbände Druckkammern (2012) und Jubeljahre (2015).

Quelle: Hanser Verlag

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