Rezension Deniz Yücel – Agentterrorist

Rezension Deniz Yücel – Agentterrorist

Autor: Deniz Yücel
Titel: Agentterrorist
Herausgeber: Kiepenheuer&Witsch Verlag  
Datum der Erstveröffentlichung: 10. Oktober 2019
Buchlänge: 400 Seiten
ISBN: 978-3462052787
Preis: HC 22,00€ / eBook 9,99€
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 Dieser Beitrag enthält Werbung, da es sich um ein Rezensionsexemplar handelt 

 

 

»Niemals« werde man Deniz Yücel nach Deutschland ausliefern, erklärte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan im Frühjahr 2017, jedenfalls nicht, solange er im Amt sei.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich der deutsch-türkische Journalist seit zwei Monaten im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9 bei Istanbul. 10 Monate später wurde er unter abenteuerlichen Umständen endlich freigelassen. Die Inhaftierung des Türkei-Korrespondenten der Welt führte in Deutschland zu einer riesigen Solidaritätsbewegung und sorgte für die größte Belastung der deutsch-türkischen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich entfacht der Fall in Deutschland eine Debatte über das Verhältnis der Deutschtürken zu beiden Ländern. In seinem Buch erzählt Deniz Yücel, wie er dieses Jahr in Einzelhaft verbrachte, welchen Schikanen er ausgesetzt war und wie es ihm gelang, immer wieder die Überwachung zu überlisten. Er schildert, was ihm die Unterstützung seiner Frau Dilek Mayatürk und die »Free Deniz«-Kampagne bedeutete und warum der Kühlschrank das sicherste Versteck in der Gefängniszelle ist. Es ist eine Geschichte von Willkür und Erpressung, aber auch eine Geschichte von Solidarität, Liebe und Widerstand. Zugleich zeichnet Deniz Yücel die Entwicklung nach, die die Türkei in den vergangenen Jahren durchgemacht hat, vom hoffnungsvollen Aufbruch der Gezi-Revolte über den Kurdenkonflikt, die Flüchtlingskrise und den Putschversuch bis zum vorläufigen Ende:
Erdogans Festigung der Macht mit den Wahlen vom Frühjahr 2018.

Quelle: Kiepenheuer&Witsch Verlag   

 

 

Durch die Fest & Flauschig Podcastfolge Im Kerker des Kalifen vom 13. Oktober 2019 wurde ich zwar auf das Buch Agentterrorist aufmerksam, aber der Name Deniz Yücel war mir natürlich auch schon vorher ein Begriff. Auch denke ich, dass die groben Umrisse seiner Festnahme mit den anschließenden Demonstrationen zu seiner Freilassung damals selbst viele in diversen Medien mitverfolgt haben – doch wie genau waren eigentlich die Umstände seiner Verhaftung, was hat er selbst von dem Rummel um seine Person mitbekommen und wie haben seine Freunde und Familie darauf reagiert – über das und noch vieles mehr redet er nun in seinem ersten Buch Agentterrorist.

Wer hier eine aggressive Abrechnung mit dem System von Erdogan erwartet, wird mit diesem Buch in erster Line nicht glücklich werden, denn Deniz Yücel schildert seine Erlebnisse ehr neutral und in einem klugen Kontext. Außer im letzten Kapitel, in dem er über eine erniedrigende Begegnung mit einem Gefängniswärter schreibt, weicht er kaum von seiner objektiven Journalistendarstellungen ab, schafft es aber dennoch, den Leser zu berühren.

Man merkt immer wieder, dass es ihm um präzise Sachlichkeit geht, ob das nun seinen Gefängnisalltag betrifft oder die Ausstattung und die Größe seiner Zelle. Wir erfahren, wie es beispielsweise in Silivri, dem größten Knast für politische Häftlinge aussieht, oder sind Teil von Gesprächen, die er trotz Isolationshaft mit seinen Zellennachbarn führt.
Es ist über weite Strecken ein Gefängnistagebuch, aber genauso ein Buch über die Türkei unter dem Regime von Präsident Erdogan und der paranoiden Atmosphäre nach dem misslungenen Putschversuch im Juli 2016 herrscht.

Es geht viel um politische Auseinandersetzungen, Folter und Repression, aber auch um die Liebe zu seiner heutigen Frau Dilek, die er gar nicht so lange vor seiner Verhaftung kennengelernt hat. Durch diesen Umstand wurde die Beziehung natürlich auf eine harte Probe gestellt, dann aber, mit der Hochzeit im Gefängnis, auch zu einer entscheidenden Stütze für Deniz. Es kommt zu herzzerreißenden Szenen, aber auch zu Auseinandersetzungen der beiden, da Dilek häufig für Kompromisse plädiert, wo ihr Mann ehr auf Konfrontation setzt. Er beschreibt diese Konflikte recht ausführlich, weiß, dass er manchmal auf Kosten seiner Ehe handelt, glaubt aber dennoch daran, ohne diese kämpferische Pose niemals aufrecht aus dem Gefängnis herausgehen zu können. 

Nach einjähriger Haft wird Deniz Yücel schließlich entlassen und obwohl er zeitweise den Eindruck erweckt, die Bundesregierung würde ihn öffentlich zu einem Objekt des Tauschhandels machen, rudert er letztendlich damit zurück. Vielmehr äußert er sich sogar dankbar über den intensiven Einsatz für seine Freilassung gegenüber Kanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel.

Mein Eindruck, der nach dem Lesen von Deniz Yücel und Agentterrorist bleibt ist folgender Satz: Man verbeugt sich nicht vor der Macht.
Dennoch wurden noch am selben Tag seiner Entlassung viele Journalisten zu lebenslanger Haft in der Türkei verurteilt. 

 

 

Ein Plädoyer für die freie Meinungsäußerung.
Ein kluges und durchaus sehr persönliches Buch, das sich definitiv auch für Leser eignet, die sonst weniger zu politischen Werken greifen. 

 

 

♥ Vielen Dank an den Kiepenheuer&Witsch Verlag für die Zusendung des Rezensionsexemplars! ♥

 

 

Über den Autor
Deniz Yücel wurde 1973 als Kind türkischer Einwanderer in Flörsheim am Main geboren und studierte an der Freien Universität Berlin Politikwissenschaften. Er arbeitete als Redakteur bei der Wochenzeitung
Jungle World und der tageszeitung (taz). 2015 ging er als Korrespondent der Welt in die Türkei. Für seine Arbeit wurde Yücel mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Theodor-Wolff-Preis. »Agentterrorist« ist sein drittes Buch.

Quelle: Kiepenheuer&Witsch Verlag 

 

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